Im Rahmen der Collaboratory-Initiative „Lernen in der digitalen Gesellschaft“ habe ich mir gerade einige Gedanken zur Zukunft der Bildung gemacht:
Das Internet hat seit Beginn der 90er Jahre Einfluss auf alle Lebensbereiche. War der Bildungsbereich zunächst von allzu großen Veränderungen ausgenommen und zeigte ein erstaunliches Verharrungsvermögen, führten Kostendruck und internationaler Wettbewerb, sowie der rasante technische Fortschritt und der damit einhergehende kulturelle und gesellschaftliche Wandel zu Änderungen. Auch erfolgte ein Generationswechsel der Lehrpersonen: sogenannte „Digital Natives“ verstehen sich nicht mehr als Top-Down-Instruktoren sondern als Moderatoren von Lernprozessen in der omnipräsenten digitalen Umwelt. Dabei wird ihre Rolle immer mehr in den Hintergrund gerückt, da optimal in den Alltag integrierte „smart devices“ zum sozial vernetzen lebenslangen Lernen derart intrinsisch motivieren, dass die klassischen Anzreizsysteme (z.B. Benotung durch Lehrende) ausgedient haben.
Eine Kombination von holographischen Systemen, die zu erstaunlichen Augmented-Reality-Szenarien führen, mit ortsbasierten Diensten sowie Social Networks erlauben gobal vernetzte Lernerfahrungen. Smart Devices lassen diese in jeder Alltagssituation zu.
Interaktion wird live am unmittelbarsten erlebt. Bisher werden in Webvideokonferenzen der akustische und optische Sinn angesprochen. Haptische und olfaktorische Erfahrungen – wenn gewünscht – intensivieren die Sinneswahrnehmung und ermöglichen ein stärkeres Eintauchen in die Lernszenerie und erleichtern das gemeinsame Lernen. Insbesondere holographische Systeme, die quasi ein Beamen anderer Personen zulassen, bewirken das Gefühl von Präsenz.
Die Sinneswahrnehmung des realen Raumes wird computergestützt erweitert (Augmented Reality).Bewegung der Lernenden bei der Live-Online-Kommunikation durch mobile holografische Systeme fördert die Merkfähigkeit. Der klassische Lernort „Schreibtisch“ hat damit weitgehend ausgedient. Aktuell relevante Lerninhalte werden kontextbezogen und oft in peer-to-peer Umgebungen erfahrbar gemacht. Matching-Systeme vernetzen Menschen hinsichtlich ihrer aktuellen Interessen. Kommunikation und Vernetzung sowie das Befriedigen intrinsischer, spontaner Lernbedürfnisse spielen dabei die Hauptrolle. Globale vernetzte Lerncommunities entstehen problem- und lösungsorientiert. Der Zugang zu diesen ist offen und flexibel. Lernerfahrungen werden weitgehend automatisiert dokumentiert und stehen anderen zur Verfügung.
Auge und Ohr werden noch einige Zeit die wichtigsten Schnittstellen des menschlichen
Körpers zur Technologie sein. Nach einem massiven Nutzungsanstieg mobiler Endgeräte,
etablieren sich neue Formate dafür, die nebenbei bedienbar sind, nicht unsere volle
Aufmerksamkeit beanspruchen und uns die Hände zurückgeben. Datenbrillen oder
auch Sprachsteuerungen sind wichtige Innovationen für nahtlose technologische Unterstützung. Neurointerfaces haben den klinischen Anwendungsbereich und
ihre Funktion als Hilfstechnologie für Menschen verlassen und sind nahtlos-niederschwelliges Alltagstool. Die erwähnten Technologien sind in der Lage unsere geistigen und physischen (Lern-)Fähigkeiten über die bisherigen Dimensionen hinaus kontinuierlich und dynamisch zu erweitern.
Interaktion und Vernetzung mit anderen Lernenden sind Motivationsfaktoren und dienen dem Aufbau von Sozialkapital, das im Verlauf des Lebens gewinnbringend eingesetzt werden kann. Potentielle ArbeitgeberInnen legen immer weniger Wert auf formelle Abschlüsse. Die nachvollziehbare Darstellung von Vernetzung und der erworbenen Kenntnisse lösen Zeugnisse und Diplome ab.
Szenarien:
Ben ist ein aufgewecktes Kind. Er ist 10 Jahre und spielt gerne Klavier. Da seine Eltern Anhänger der um 2012 entstandenen Bewegung des „Quantified Self“ sind, messen sie seine Aktivitäten. Dadurch können Sie, wie auch er selbst, Rückschlüsse über seine Entwicklung ziehen. Auswertbar sind zum Beispiel die Zeitdauer, die er in holographischen Meetings mit Peers verbracht hat und seine Interaktionsquantität. Sprachanalyse erlaubt auch eine qualitative Auswertung. Bei diesen holographischen Zusammenkünften interessiert sich Ben für aktuelle Gadgets wie zum Beispiel Nanadronen und Nanoroboter und deren Gestaltung mit 3D-Druckern. Ben hat schon eine ansehnliche Sammlung von Nanadronen, die er gemeinsam mit Freundinnen und Freunden in aller Welt gestaltet hat. Damit erkundet er nicht nur die eigene Nachbarschaft sondern – aufgrund der Fernsteuerbarkeit über das Internet – auch die seiner Freunde. Die Nanadronen selbst dienen ebenso der Livekommunikation, haben sie doch Mikrofone, Kameras und Lautsprecher eingebaut.
Die selbst erstellten Nanadronen erlauben es auch Bens Klavierlehrern, ihn bei seinem Spiel zu unterstützen. Sie können sich mittels der ferngesteuerten Nanadronen seine Haltung aus jeder gewünschten Perspektive ansehen und kommentieren. Auch das gemeinsame Musizieren klappt mit den Nanodronen sehr gut. Ben hat Freunde auf der ganzen Welt, die er über diese Technologie einlädt. Das Repertoire reicht vom klassischen Klaviertrio bis zu zeitgenössischem Jazz. Für Konzerte verwenden die jungen Musiker holographische Systeme. Dabei wird physische Präsenz aller Beteiligten simuliert. Die Synchronität führt aufgrund der direkten Interaktion zu einer besonders qualitätsvollen Vernetzung von Ben mit seinen Musikerkollegen. Der Erwerb von Sprachkenntnissen und interkulturelle Aspekte spielen bei den weltweiten Musikproben einen wünschenswerten Nebeneffekt. Ben und seine Eltern messen selbst bei diesen sehr frei wirkenden musikalischen Zusammenkünften Bens Fortschritte.
Layla ist 16 Jahre alt und lebt in einem Land, in dem Religion eine große Rolle spielt. Diese fordert von unverheiratet lebenden Personen strikte Geschlechtertrennung. Auch ist ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Ihre Stadt darf Layla nicht verlassen. Layla ist sehr interessiert an der über 1000jährigen Geschichte ihres Landes. Daher unternimmt sie regelmäßig Spaziergänge mit ihrer Datenbrille. Sie erfährt dabei über Augmented Reality wissenswertes über Plätze, Gebäude und Denkmäler. Über Social Networks hat sie Menschen in anderen Ländern kennengelernt, die sich auch für ihre Stadt interessieren. Diese kann sie auf ihren Rundgängen mitnehmen. Sie bekommen dieselbe Information wie Layla auf Ihre Displays. Die standortbezogene Information ist übrigens großteils von anderen Lernenden erstellt worden. Layla kann sich nun über das gemeinsam Erlebte mit ihren Kollegen während des Rundgangs austauschen. Gleichzeitig kann Layla nun die Geschlechtertrennung – zumindest ein wenig – überwinden. Ebenso kann Layla nun virtuell ihr Land verlassen und sich auf Entdeckungsreise irgendwo auf der Welt begeben. Über ihr Social Network werden ihr schnell passende Partner für die gemeinsamen Erfahrungen vermittelt. Verbesserung der Sprachkenntnisse und interkulturelle Erfahrungen sind auch hier interessante Nebeneffekte. Layla lernt so auch das Leben in liberalen Gesellschaften kennen. Gemeinsam mit anderen Landsleuten und einem Teil ihrer internationalen Community organisiert sie sich im digitalen Untergrund und wird Teil einer Graswurzelbewegung, die sich trotz staatlicher Repressionen immer mehr Gehör und Zuspruch verschafft. Das vernetzte Lernen hat somit auch Auswirkungen in der politischen Sphäre.