Civic Crowdfunding – Die Stadt als Facilitator

Im Rahmen der Masterarbeit „Die Relevanz von Civic Crowdfunding als kommunales Finanzierungs- sowie Beteiligungsinstrument in der deutschen Stadtentwicklung“ von Robin Zöllig von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster habe ich ein Interview gegeben, welches hier in gekürzter Fassung erscheint.

In welchem Maße deiner Meinung nach findet Civic Crowdfunding in Deutschland statt und welches Potenziale noch vorhanden ist?

Civic Crowdfunding ist die Finanzierung öffentlicher Güter, die meist lokal genutzt werden. Wenn das Ziel einer Crowdfunding-Kampagne etwas ist, bei dem es keine Zugangsbeschränkungen gibt oder wenn man ein öffentliches Gut herstellt durch die Crowdfunding-Kampagne, dann nennt man dies Civic Crowdfunding.

Das ist natürlich eine sehr weit gefasste Definition. Wenn man sich überlegt, dass fast alle Sachen, die im Crowdfunding ein öffentliches Gut herstellen, dann kann man sehr viel darunter subsumieren.

Wenn man sich im engeren Sinne die Projekte anschaut, wo ausschließlich ein öffentliches Gut hergestellt wird, dann gibt esrelativ wenige Crowdfunding-Kampagnen, die man dem Civic Crowdfunding zuordnen kann.

Ich glaube, wenn man die enge Definition nehmen würde, dann gehören zu Civic Crowdfunding zum Beispiel die Finanzierung öffentlicher Infrastruktur. Wenn man Dinge finanziert, wie ein Stadion, das sich im Besitz einer öffentlichen Körperschaft befindet und wo im Unterschied zu allen anderen Sorten des Crowdfunding man auch dann von der Bereitstellung des öffentlichen Gutes profitiert, wenn man nicht Teil der Crowdfunding-Kampagne war, dann würde ich dies als Civic Crowdfunding definieren.

Wenn man diese enge Definition nimmt ist es tatsächlich so, dass Crowdfunding noch nicht weit verbreitet ist. Es gibt einige Plattformen, die das machen: Place2help, leih-deiner-stadt-geld. Im Vergleich zu den Volumina ist es aber schon so, dass das gegenbasierte Crowdfunding oder das equity-based Crowdfunding oder lending-based Crowdfunding wesentlich größer sind als das Civic Crowdfunding – sowohl was das Volumen angeht als auch die Anzahl der Projekte.

Diese anderen Arten von Crowdfunding, lending-based usw. Die passen deiner Meinung nach eher weniger in diese Definition von Civic Crowdfunding rein?

Lending-based, equity-based, reward-based und donation-based Crowdfunding haben ja nichts mit dem Zweck zu tun, sondern es geht ja immer um die konkrete Gegenleistung, die damit verknüpft ist. Und Civic Crowdfunding wird definiert über den Zweck – öffentliche Güter.

Aber das gibt es in allen Bereichen des Crowdfundings. Es gibt lending-based Plattformen wie Leih-deiner-stadt-geld, es gibt equity-based Plattformen, die Civic Crowdfunding Projekte stattfden, z.B. die Stadionfinanzierung von Fussballclubs. Und dann gibt es natürlich im reward-based Crowdfunding einzelne Kampagnen und im donation-based einzelne Kampagnen. Civic Crowdfunding ist ein Thema, das sich über alle Crowdfunding-Arten erstreckt.

Ich habe für meine Arbeit den Fokus auf donation- und reward-based Crowdfunding gelegt, weil ich es auch als Beteiligungsinstrument in den Fokus rücken möchte. Und da hatte ich schon das Gefühl, dass es bei equity-based und lending-based weniger die Möglichkeit gibt für die Leute, sich zu beteiligen. Würdest du das auch so sehen?

Ich glaube nicht, dass das 100-prozentig zutrifft, weil die Beteiligungsform hängt vom Projekt ab und nicht von der Form des Crowdfunding. Man könnte z.B. auch ein equity-based Crowdfunding oder ein lending-based Crowdfunding so gestalten, dass es einen Beteiligungsaspekt gibt. Das steht vielleicht nicht im Vordergrund bei den aktuellen Projekten, aber das hat eher mit dem Projekt selber zu tun, ob man bereit ist, das zu machen.

Was kenn denn deiner Meinung nach die deutsche Stadtplanung lernen von anderen Ländern, wo Crowdfunding oder Civic Crowdfunding schon einen anderen Stellenwert einnimmt, wie z.B. in den USA oder Großbritannien oder auch in den Niederlanden?

Gerade in UK und in den Niederlanden sind Städte und Regionen und Gemeinden schon sehr stark mit Crowdfunding-Plattformen in Kooperation, z.B. betreiben die eigene Plattformen, haben Crowdfunding-Projekte kofinanziert. Im Unterschied zu Deutschland würde ich sagen zu Deutschland, dass dort die Bereitschaft von Städten und Gemeinden wesentlich größer ist, vor allem in den Niederlanden. Dadurch habendie Projekte auch eine größere Reichweite

Also fehlt es deiner Meinung nach da ein bisschen an der Bereitschaft von den Kommunen oder wer müsste da den ersten Schritt wagen?

In Deutschland ist die kommunale Finanzierung sehr konservativ. Meiner Meinung nach könnten Kämmerer mehr mit Crowdfunding mit kleinen Budgets experimentieren.

Aufgrund der Niedrigzinssituation an den Kapitalmärkten ist es für die meisten Kommunen relativ leicht, sich auf den Kapitalmärkten Geld besorgen zu können.

Glaubst du schon, dass Civic Crowdfunding in Zukunft dann auch eine andere Rolle einnehmen kann in der Stadtentwicklung?

Ich denke es wird darauf hinauslaufen, dass Crowdfunding als ein ganz normale Finanzierungsmöglichkeit für kommunale Projekte oder für regionale Projekte gesehen wird.

Crowdfunding dient nicht nur Finanzierungzielen, sondern dient den strategischen Kommunikationsziele einer Stadt oder Gemeinde. Man kann damit beispielsweise die Not-In-
My-Backyard-Mentalität lösen, da Bürger sich für die Projekte, die sie finanzieren auch stärker einsetzen und wissen wollen, was daraus geworden ist.

Ich würde gerne auf den zweiten Teil übergehen. Der bezieht sich hauptsächlich auf die Chancen und Risiken, die sich für die Städte und Kommunen über Civic Crowdfunding ergeben können, durchaus aber auch für die Initiatoren von Projekten oder Unterstützer – also welche Chancen und Risiken siehst du da?

Crowdfunding kann man kombinieren mit Community-Building. Das ist das wertvolle an Crowdfunding, das man zusätzliche Reichweite aufbaut. Als Risiko ist es vorhanden, dass der Aufwand eine Crowdfunding-Kampagne zu erstellen unterschätzt wird.

Manche Plattformen versuchen, die Projekte zu coachen und zu unterstützen, manche Plattformen versuchen, bei den Kofinanzierungen zu helfen – es gibt ja eine Reihe an Plattformen, die mit öffentlichen Partnern Kofinanzierungen aufgebaut haben.

Da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, solche Kofinanzierungswettbewerbe zu gestalten. Man sieht das sehr gut an dem Beispiel place2help München, bei dem die Spardabank München kooperiert mit der Plattform und hilft, die Projekte zu stärken.

Das wäre dann durchaus auch ein Weg, um größere Projekte auch über Civic Crowdfunding in Zukunft umsetzen zu können?

Beim reward-based und beim donation-based Crowdfunding sind generell die Projekte relativ klein. Das liegt daran, dass das Thema insgesamt noch klein ist, also auch das Thema Civic Crowdfunding.

Investitionen in Infrastruktur sind aber sehr wichtig, man könnte daher lernen von Projekten wie Luchtsingel in Rotterdam, bei dem die Stadt Rotterdam kofinanziert hat. Die Bürger waren bereit die Brücke mitzufinanzieren und haben mehrere Millionen Mio. Euro gespendet.

Im normalen Crowdfunding gibt es ja diese „Stretch Goals“ oder so eine Art Zusatzziele, die dann als Anreiz dienen, wenn das eigentliche Finanzierungsziel schon erreicht ist. Siehst du da bei Projekten in der Stadtentwicklung auch ein Potenzial für solche Anreizsysteme?

„Stretch Goals“ werden sehr bewusst eingesetzt als Teil der Kommunikationsvorbereitung eines Projektes. Teilweise werden die Finanzierungsziele etwas niedriger gelegt, damit man mit „Stretch Goals“ arbeiten kann. Es gibt eine Vielzahl von Kampagnen-Kommunikationselementen, die man für Civic Crowdfunding Kampagnen einsetzen kann: die Ausgestaltung der Gegenleistungen, Offline-Events, Community-Building, Stretch Goals.

Das ist ja auch gerade ein großer Positivaspekt vom Civic Crowdfunding, dass neue Netzwerke oder Akteure, die vorher noch nicht so viel mit Stadtentwicklung zu tun hatten, beteiligt werden, oder plötzlich einen Sinn darin sehen. Hast du noch andere Ideen, wie solche neu entstandenen Netzwerke auch längerfristig beteiligt werden können?

Wenn man sich die erfolgreichen Civic Crowdfunding Projekte anguckt, dann sieht man, dass bei denen, die es gut gemacht haben, dimmer eine Debatte darüber entsteht, was mit dem finanzierten Projekt jetzt passieren soll. Bei Luchtsingel ging es z.B. um die Frage, wie denn das Projekt umgesetzt wird in der konkreten Stadtplanung.

In den Niederlanden gab es ein Crowdfunding für ein Krankenhaus, das sollte geschlossen werden. Das Crowdfunding hat gezeigt, dass die Menschen das Krankenhaus relevant fanden.

In Deutschland gab es eine Crowdfunding-Kampagne für das Museum CO/Berlin. Beim Umzug des Museums in neue Räumlichkeiten wurde eine Crowdfunding-Kampagne gemacht, nämlich für eine Sicherheitstechnik. Die Crowdfunding-Kampagne wurde sehr stark unterstützt. Der Effekt war, dass die Politik in der Stadt gesehen hat: dieses Fotomuseum hat eine große Relevanz. Obwohl es geschlossen war, haben sie es geschafft, das Projekt erfolgreich zu finanzieren.

Also so ein Aufmerksamkeitsindikator?

Genau als Indikator dafür, ob eine öffentliche Einrichtung Reichweite erzeugt. Es gibt auch noch andere Beispiele, wo Museen usw. es geschafft haben über Crowdfunding ihren Politikern zu zeigen, dass immer noch genug öffentliches Interesse vorhanden ist. In den Niederlanden führte ein Crowdfunding für ein Religionsmuseum dazu, dass die Stadt anhand der Resonanz ihre Entscheidung zurücknahm das Museum zu schließen.

Jetzt ist ja dennoch einer der Kritikpunkte an Civic Crowdfunding, dass diese Abstimmung mit dem Geld stattfindet. Dass da nicht wirklich so ein demokratisch erzeugter, gesamtgesellschaftlicher Mehrwert da ist. Oder wie würdest du das sehen?

Natürlich braucht man parallel immer noch demokratische Prozesse, an denen jeder teilnehmen kann, unabhängig davon, ob er es sich leisten kann oder nicht, aber aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, das mit Crowdfunding zu kombinieren, weil die Verwaltung ja auch immer noch die Möglichkeit hat, solche Projekte zu stoppen.

Die Stadtentwicklung lebt immer sehr stark vom privaten Engagement Einzelner. Gerade die großen Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert kamen zum Teil auf das Betreiben einzelner Personen zustande, die ganze Stadtviertel erschlossen haben.

Auch die Gestaltung öffentlicher Infrastruktur und Marktplätzen wurde nicht immer durch die Gemeinschaft finanziert, sondern einzelne Mäzene drückten der Stadt ihren Stempel auf.
Mit Crowdfunding ist es aber demokratischer. Hier kann jeder mit einer kleinen Summe mitmachen. Man darf Crowdfunding nicht nutzen, um damit kommunale Beteiligungsprozesse zu ersetzen. Ich würde es immer nur als eine weitere Säule sehen, um das Engagement der Bürger zu mobilisieren.

Es gibt ja gerade in den städtischen Bereichen auch Quartiere, die vielleicht schon etwas vernachlässigt sind oder wo die Leute auch finanzieller eingeschränkt sind. Inwieweit können denn diese Quartiere oder diese Personen deiner Meinung nach von Civic Crowdfunding profitieren?

Es gibt auch Kampagnen, wo über Crowdfunding Zwischennutzungskonzepte finanziert worden sind, z.b. da wo Gewerberäume leer standen in Gebieten, die nicht besonders attraktiv waren. Durch das Zwischennutzungskonzept, das über die Crowd finanziert worden ist, ist dann auch gleichzeitig eine Kreativ-Szene dort entstanden.

Auf welche Art können denn die Kommunen die Entwicklung von Projekten über Civic Crowdfunding fördern oder durchaus auch in die formale Planung integrieren, aber ohne den alternativen oder innovativen Charakter dieser Bottom-Up-Planung zu sehr einzuschränken.

Ich glaube sie können einfach mit den Plattformen kooperieren und dort solche Wettbewerbe machen, solche Kofinanzierungs-Wettbewerbe, wo mit jedem Euro der Crowd ein Euro aus dem Stadthaushalt bereit gestellt wird.

Gehen wir zum dritten Teil über. Da geht’s eher um die Vorteile, die Crowdfunding gegenüber anderen Finanzierungs- oder Beteiligungsinstrumenten hat. Die erste Frage aus dem Bereich ist, dass ja beim normalen Crowdfunding dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip sehr beliebt ist. Glaubst du, dass das auch für die Finanzierung städtischer Projekte geeignet ist?

Es gibt ja drei Arten, wie eine Crowdfunding-Kampagne gemacht wird. Einmal das „Alles-oder-nichts-Prinzip“, das nennt sich auch All or Nothing. Dann gibt es das flexible Crowdfunding oder auch Keep-It-All. Und dann gibt es ein Prinzip, das nennt sich Crowd-Sustaining. Crowd-Sustaining zeichnet sich dadurch aus, dass es keinen konkreten Endzeitpunkt der Kampagne gibt, sondern eine kontinuierliche Unterstützung.

Beim reward-based Crowdfunding ist das Alles-oder-Nichts-Prinzip sehr stark. Dieses Alles-oder-Nichts-Prinzip ist kein Bestandteil unbedingt des Crowdfundings, sondern nur eine Variante und die muss nicht unbedingt die Einzige bleiben. Die hat einen psychologischen Vorteil, weswegen es so oft eingesetzt wird, dass das Projektziel sehr stark und einfach kommuniziert wird, weil die Leute eben wissen: Okay, ich muss das jetzt finanzieren, ansonsten wird es das halt nicht geben.

Es gibt ja jetzt auch andere Beteiligungsinstrumente in der Stadtentwicklung. E-Partizipation oder Bürgerhaushaltmodelle. Siehst du da Verknüpfungspotenzial mit solchen Instrumenten?

Das Problem bei Bürgerhaushalten ist, dass die ein sehr starkes Vorwissen benötigen und auch die Konsequenzen der Beteiligung nicht so ganz klar sind. Das große Problem bei E-Partizipationsprojekten ist immer: Was ist das Ziel der E-Partizipation und wie erreicht man das, das Projekt dann umzusetzen entsprechend der E-Partizipations-Ergebnissen. Daran scheitern viele E-Partizipationsprojekte, weil die Leute denken: Warum soll ich daran teilnehmen.

Beim Crowdfunding ist das Gute, dass man unmittelbar sieht, was mit dem eigenen Geld passiert. Es gibt ja immer einen Projektträger und es gibt ein klares, definiertes Projektziel. Es ist im Interesse der Projektträger die Projektziele weiter zu kommunizieren und die Umsetzung transparent zu machen. Das ist der Vorteil von Crowdfunding als E-Partizipationstool.

Welche Rolle sollte die Kommune denn deiner Meinung nach übernehmen? Ich habe hier aus der Literatur von Davies gefunden… er hat vier mögliche Wege vorgeschlagen. Eins ist Promoter, Curator, Facilitator und Platform. Das Promoter meint im Grunde, dass die Kommune als Hauptfundraiser auftritt, also selbst Spenden sammelt für gewisse Projekte. Das zweite, Curator, das wäre, dass die Kommune hauptsächlich dazu da ist, um Aufmerksamkeit für bestimmte Projekte zu erzeugen und durchaus das z.B. mit Matchfunding verknüpft. Das dritte wäre Facilitator. Da geht’s eigentlich eher um so eine Art Informationsbereitstellung oder Training von Leuten, die an Crowdfunding interessiert sind. Und das letzte, Platform, wäre halt, dass die Kommune eine eigene Plattform komplett betreibt.

Ich glaube die ersten drei Möglichkeiten sind die relevanten Sachen. Eine eigene Plattform braucht eine Kommune eigentlich nicht zu machen. Man sieht das an den in Deutschland existierenden Plattformen, dass die Kommunen eigentlich nicht in der Lage sind, die Plattform sinnvoll weiter zu entwickeln. Ich finde das Portal Crowdfunding-Berlin.com ganz gut, weil die einfach dort die Projekte vorstellen und helfen zur Reichweite beizutragen.

Wichtig ist, dass eine Stadt oder ein städtischer Akteur versuchen sollte, relativ neutral zu agieren und versuchen eher mit verschiedenen Plattformen zusammen zu arbeiten und verschiedene Projekte, Beratung und solche Sachen zu finanzieren. Oder wie die Stadt Berlin es gemacht hat, einen Crowdfunding-Wettbewerb voran zu bringen.

Es entstehen Plattformen wie Sand am Meer und ich glaube das bringt nicht so viel, eine eigene Plattform zu gründen. Man sollte mit den existierenden Plattformen zusammenarbeiten.

Als letzte Frage noch. Nochmal zurück zum ikosom, wie ihr eure eigene Rolle seht in der weiteren Etablierung von Crowdfunding oder in dem Fall auch Civic Crowdfunding.

Wir machen Marktberichte, forschen, wir beraten auch viele Projekte. Wir sorgen eigentlich dafür, dass dieses Ökosystem sich weiter entwickelt.

Photo by mamnaimie piotr