Crowdfunding in der Wissenschaft

Wenn Musiker, Theaterkünstler und Filmemacher unsere Seminare besuchen, dann sagen wir immer, dass ein Crowdfunding-Projekt möglichst konkret sein soll, damit sich die Unterstützer das Ganze vorstellen können. Ein Crowdfunding-Projekt sollte authentisch sein: es muss erkennbar sein, wer hinter dem Projekt steht. Man sollte erstmal mit einem kleinen Budget anfangen, um sich eine Community aufzubauen. Institutionelle Förderung ist schwierig, weil die Community das Gefühl haben will, den Projektfortschritt verfolgen zu können. Es wird sicherlich nicht mehr lange dauern, bis es die ersten Crowdfunding-Plattformen für Wissenschaftler in Deutschland geben wird. In den USA ist mit Petridish eine solche Plattform bereits entstanden. Was würden wir aber einem Wissenschaftler antworten, der uns fragt, wie er ein Crowdfunding-Projekt umsetzen soll?

Öffentlich-finanzierte Wissenschaft ist für Crowdfunding im klassischen Sinn in vielerlei Hinsicht ungeeignet: Forschung ist ein langwieriger, institutionell verankerter und team-bezogener Prozess. Forschung ist teuer. Die Ergebnisse der Forschung sind in vielen Fachgebieten nicht sofort „greifbar“ – Wissenserkenntnisse dokumentieren sich in Artikeln, Büchern, Fachkonferenzen, seltener Patente, noch seltener neue Produkte. Wissenschaftler werden in der Regel nicht danach bewertet, ob sie ihre Forschung gegenüber der Öffentlichkeit gut erklären können (geschweige denn gegenüber ihren Studierenden), sondern danach, wie sie im Rahmen ihrer Peer-Group und den dazugehörigen wissenschaftlichen Journals und Kongressen auftreten.

Das wichtigste Hindernis ist aber der Forschungsprozess selber. Während in der Antike noch das Erkenntnisideal des Dialogs in der offenen Agora die Forschung bestimmte, so ist unser Bild der Wissenschaft seit der Moderne von dem einsam im Labor oder in der Bibliothek sitzenden Forscher geprägt. Dieser Mythos ist von der Realität längst überwunden, sorgt aber dafür, dass ein Großteil der öffentlich-finanzierten Wissenschaft keinerlei Druck verspürt, ihre Wissenschaft auch angemessen zu erklären und zu kommunizieren. Vor allem besteht keine Notwendigkeit, die Öffentlichkeit bereits im eigentlichen Forschungsprozess frühzeitig einzubeziehen, um beispielsweise über Motive und Methoden zu diskutieren.

Den Gegenentwurf dieses Wissenschaftsmodells beschreibt der Begriff „OpenScience“. Hier geht es darum, Forschungsergebnisse so zu veröffentlichen, dass diese durch die Öffentlichkeit rezipiert und neu interpretiert werden können, idealerweise also in einem „OpenAccess“-Journal oder direkt im Netz. OpenScience bedeutet aber auch, Forschungsdaten zu veröffentlichen und den Zugang zu diesen gewähren. Ein solch offener Zugang ist aber mit Finanzierungsmodellen, die den limitierten Zugang zu Forschung monetarisieren, nicht vereinbar. Er ist jedoch sehr wohl vereinbar mit dem Grundgedanken des Crowdfundings – einer Demokratisierung des Mäzenatentums in der Kunst, die dem öffentlichen Mäzenatentum der Wissenschaft in vieler Weise entspricht. Man möge sich nur einmal die wechselseitige Abhängigkeit der „freien“ Künste von Unternehmenssponsoren, privater wohlsituierter Menschen und der öffentlichen Hand vorstellen, um zu sehen, dass sich auch die „freie“ Wissenschaft in Wirklichkeit in Symbiose mit den Interessen von Politik und Unternehmen befindet.

Die Demokratisierung der Finanzierung von Wissenschaft führt nicht zwangsläufig zu weniger Abhängigkeiten, sondern eher zu verstärkter Wechselseitigkeit. Analog zum Crowdfunding in der Kreativwirtschaft kann Crowdfunding aber als Alternative, Ergänzung oder Lückenbüßerin für die klassische Wissenschaftsfinanzierung dienen. Analog zum Crowdfunding bei Film, Musik, Literatur und Theater dient das Crowdfunding in der Wissenschaft vor allem einem: sie dient dazu, den emotionalen Bezug der Öffentlichkeit zum Objekt herauszuarbeiten.

Das Ideal des rationalen Wissenschaftlers steht dabei vordergründig im Widerspruch zur Emotionalisierung der Wissenschaft. Die enorme Resonanz, die ein kleiner NASA-Roboter – einige tausend Kilometer entfernt auf einem anderen Planeten – bei uns im Netz erzeugt, birgt Zeugnis von dem Gefühlspotenzial der Wissenschaft. Das Beispiel CancerResearchUK beweist, dass sich dieses Potenzial auch für Crowdfunding nutzbar machen lässt. Im Rahmen von CancerResearchUK wurde mittels Crowdfunding versucht, die Spendenbereitschaft für Wissenschaft zu erhöhen. Das besondere an der Kampagne war, dass sie den Unterstützern erlaubte, ihre persönliche Geschichte zu erzählen – sei es der Tod eines Freundes oder Verwandten durch Krebs, die Heilungsgeschichte, die Wirkung von Medizin, Fortschritt, Forschung.

Wie wird also eine Crowdfunding-Plattform für Wissenschaft aussehen, wenn sie erfolgreich sein wird? Eins ist klar: sie wird nicht so aussehen wie Kickstarter, Indiegogo oder deren deutschsprachigen Äquivalenzen startnext, inkubato, mySherpas, pling oder visionbakery. Die Kickstarter-Usability, an die wir uns im Bereich der Kreativwirtschaft gewöhnt haben, und die bei den Nutzern zunehmend „gelernt“ ist, macht im Bereich der Wissenschaft wenig Sinn. Kickstarter ist deswegen so erfolgreich, weil drei Informationen so klar dargestellt sind: Wer hat das Crowdfunding-Projekt gestartet? Wieviel Geld soll zusammenkommen und wieviel Geld fehlt noch? Was erhalte ich im Gegenzug als Prämie?

Für Wissenschafts-Crowdfunding sind vermutlich ganz andere Informationen relevant. Ein Film ist beispielsweise untrennbar mit dem Regisseur, den Produzenten, den Schauspielern verbunden, er lässt sich nicht durch ein anderes Team replizieren. In der Wissenschaft geht es aber, auch in den Geisteswissenschaften, um die Replizierbarkeit von Methoden, Argumenten und Ergebnissen – insofern muss sich Forschung von den Forschern trennen lassen. Viel weniger als der konkrete Forscher ist die Wissenslücke relevant, die ein Wissenschafts-Crowdfunding-Projekt schließen will. Diese Wissenslücke zu visualisieren, ist die große Herausforderung einer Plattform für Wissenschafts-Crowdfunding.

Viel weniger als bei den Kreativprojekten steht die Summe des Projekts im Vordergrund. Bei CancerResearchUK war das deutlich: es wurde zwar visualisiert, welche Finanzierungssummen zusammen gekommen waren, aber für die meisten Geldgeber war es wohl nicht ausschlaggebend, ob insgesamt 5.000 Pfund oder 5 Millionen Pfund benötigt wurden. Im Vordergrund steht daher nicht die Summe insgesamt, sondern die konkrete Wirkung von 5 oder 50 Euro, die über Crowdfunding eingesetzt werden.

Schlussendlich die Prämien: bei vielen Wissenschaftsprojekten wird darauf die meiste Kreativität eingesetzt werden müssen, wenn man beim reward-based Crowdfunding bleiben möchte und nicht donation-based Crowdfunding wie bei der Plattform betterplace einsetzen kann und möchte. Wissenschaft und materielle Gegenleistungen, die eng an den Forschungsprozess geknüpft sind, sind jedoch nicht so einfach umzusetzen, schließlich ist das Ergebnis doch wesentlich komplexer als bei den meisten Crowdfunding-Projekten. Wesentlich relevanter als das Zurückgeben des Wissenschaftlers an die Community ist die Frage, was die Community dem Wissenschaftler geben kann – die Prämien sind daher eigentlich im Zugang zur Wissenschaft und zum wissenschaftlichen Prozess zu suchen.

Eine Crowdfunding-Plattform für die Wissenschaft müsste daher diese drei Dinge möglichst einfach gestalten und verdeutlichen: a) Visualisierung von Wissenslücken, b) Wirkung von Geldern, c) Mitwirkungsmöglichkeiten für die Unterstützer. Wer das gut schafft, wird Wissenschaft revolutionieren.

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