Der Mythos „Internetministerium“

D64, das Netzwerk der digitalen Unternehmenslobby innerhalb der SPD, hat ein Positionspapierchen herausgebracht, welches an prominenter Stelle ein Internetministerium fordert:

1. Ein Bundesministerium für Digitales, Kreativwirtschaft und Technologie als Querschnitts-Ressort, dass die wichtigsten Felder abdeckt.

Und auch Kai Biermann schreibt in seinem Abriss über den Stand der Koalitionsverhandlungen:

Nicht ganz so weit ist die Frage, ob es künftig einen Internetminister oder eine Internetministerin geben wird. Verhandelt wird zumindest darüber, wenn auch nicht gleich über ein ganzes Ministerium. Die Politiker beider Seiten scheinen sich einig zu sein, dass sie Netzpolitik ernster nehmen müssen. Als Ergebnis könnte die Position eines Staatsministers geschaffen werden, der ähnlich dem Kulturstaatsminister ein Staatssekretär mit schönerem Titel wäre.

Ich versteh nicht so ganz, warum diese Forderung in letzter Zeit solch eine Dynamik entwickelt und kann mir das nur damit erklären, dass in den Koalitionsverhandlungen im Bereich der digitalen Politik noch Posten geschaffen werden müssen. Ich habe aber noch immer das Mantra diverser Netzpolitiker in den Ohren, die forderten, dass Netzpolitik in allen Bereichen der Politik verankert werden soll und es daher besser sei, in allen Ministerien eine netzpolitische Agenda zu entwickeln.

Ein Internet-Ministerium, so die Hoffnung, könnte dafür sorgen, dass der digitalen Entwicklung in der Gesellschaft mehr Bedeutung beikommt, dass Forschungsgelder für digitale Zukunftsfragen gebündelt werden können, dass es gelingt, die großen Konfliktfelder wie beim Urheberrecht anzugehen. Beispielhaft hat das der von mir geschätzte Jan Moenikes aufgeschrieben:

Dass dem MINT-Bereich in Deutschland heute eine sehr große gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Bedeutung zukommt, wird hoffentlich niemand mehr bestreiten. Daher sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber kurz auf folgende Kennziffern verwiesen: Der Umsatz mit Informationstechnologie, Telekommunikation und Unterhaltungselektronik steigt 2013 auf 153 Milliarden Euro. Mehr als 900.000 Jobs sind in Deutschland damit direkt verbunden. Damit aber erweist sich der MINT-Bereich ökonomisch nicht als weniger bedeutend wie beispielsweise die Landwirtschaft.

Die bessere Forderung: Bundesinternetamt

Ich halte die Idee der Schaffung eines progressiven „Internet-Ministerium“ für einen Mythos, der in absehbarer Zeit nicht umgesetzt wird. Progressive Veränderung in der Gesetzgebung forciert nicht ein eigenes Ministerium, sondern eher eine inhaltlich relevante, international vernetzte, nachgeordnete Behörde, die dem Thema Netzpolitik innerhalb der Ministerialbürokratie, in Verbund mit den relevanten Stellen in Brüssel und im Bund-Länder-Dialog helfen kann, aus der Nische des digitalen Aktivismus herauszukommen.

Das historische Beispiel dafür ist das Umweltbundesamt. Mehr als 10 Jahre vor dem Umweltministerium gegründet, führten die Aktivitäten des UBA ab Mitte der 1970er in Westdeutschland zu einer kompletten Veränderung wichtiger Rechtsbereiche: im Strafrecht, im Verbraucherschutzrecht, im Bebauungsrecht, im Verkehrsrecht. Das parallel gegründete Ministerium für Umwelt in der DDR hatte kaum den gleichen Einfluss. Und auch das nach Tschernobyl gegründete Umweltministerium in der BRD brauchte selbst mit einem Politiker wie Töpfer eine ganze Weile, ehe es sich gegen die anderen Ministerien durchsetzen konnte.

Viele Punkte, die Jan Mönikes für ein Internet-Ministerium ins Feld führt, sprächen auch für ein Bundesamt für digitale Technologien: man könnte ressortübergreifen Politik koordinieren und man könnte innerhalb der Verwaltungslogik der Bundesregierung Experten für digitale Prozesse in allen Politikfeldern aufbauen.

Wer eine digitale Agenda forcieren möchte, braucht Zugang ins Kanzleramt

Um eine digitale Agenda zu initieren, braucht es tatsächlich mehr als eine nachgeordnete Behörde, sondern jemandem mit direkten Zugang zum Kanzleramt. Ein Minister oder eine Ministerin ist da nicht immer geeignet. Wenn Internet-Minister und Kanzler politische Konkurrenten sind, dann schadet das eher noch einer progressiven Agenda. Man denke an die Konkurrenz zwischen Rösler und Merkel bei der Selbstprofilierung als Start-Up-Förderer, die dazu führte, dass keiner von beiden außer Jubelbesuchen bei Berliner Startups etwas Signifikantes für diese Branche unternahm.

Wenn in den Koalitionsverhandlungen rauskommen sollte, dass ein Ansprechpartner im Bundeskanzleramt im Ministerrang für digitale Technologien geschaffen wird, der mit eigenem Budget die Arbeit der Ministerien koordiniert, dann ist das gar kein schlechter Schritt. Die Kulturpolitiker haben mit ihrem eigenen „Bundesminister“ es geschafft, über mittlerweile fast ein Jahrzehnt ihre Vorstellungen einer sinnvollen Kulturpolitik in Gesetzestexte zu gießen. Sie haben es auch geschafft, dass ihre Anliegen und ihre Lobbyarbeit finanziell gefördert werden – beispielhaft sei nur genannt, dass die Zeitschrift „Politik und Kultur„, die vom Deutschen Kulturrat herausgegeben wird und damit die politischen Interessen der Kulturindustrie repräsentiert, finanziert wird vom Deutschen Bundestag. Ich bin mir nicht sicher, ob andere Verbände ein ähnliches Privileg genießen.

Wo aber bleibt die digitale Zivilgesellschaft?

Um eine progressive digitale Agenda überhaupt erstmal zu initiieren, benötigt es aber noch viel mehr als Behörde und Minister – sondern eine aktive digitale Zivilgesellschaft. Auch hier sind die Kulturpolitiker weiter – immer wieder schaffen sie es, die politische Forderung durchzusetzen, dass die Kulturlandschaft in Deutschland vor allem von staatlicher Seite finanziert werden soll. Das kann man ja sehen wie man will, aber es ist schon deutlich, dass die politischen Forderungen der Kulturwirtschaft wesentlich klarer und konkreter formuliert sind als das, was die digitalen Organisationen vor der Bundestagswahl herausgebracht haben.

Nico Lumma hat vor ein paar Tagen darüber geschrieben, dass eine ganze Generation es versagt hat, digitale Politik zu machen. Da musste ich beim Lesen erstmal laut husten. Denn in Wirklichkeit gab es in beiden großen Parteien immer wieder Ansätze, so etwas wie Brücken zu schlagen zu der digitalen Zivilgesellschaft. Während aber den Linken und den Grünen es in vier Jahren Oppsitionsarbeit gelungen ist, halbwegs verbindliche, gemeinsame strategische Ziele mit der digitalen Zivilgesellschaft zu vereinbaren, so hat aus meiner Perspektive gerade das weder in der SPD noch in der CDU funktioniert.

Wer sich aber die laufenden Koalitionsverhandlungen in den anderen Politikfeldern anschaut – beispielsweise in der Arbeitsmarktpolitik und in der Verkehrspolitik – der sieht dass es über Jahre aufgebaute Verbindungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen und den verhandelnden Politikern gibt. Das kann man als politischen Lobbyismus kritisieren, man kann es als syndikativen Staatsaufbau analysieren, man kann aus Sicht der Lobbygruppen sich drüber freuen.

Ob aber die strategische Forderung nach einem eigenen Internetministerium oder einem eigenen Internetausschuss dazu führen wird, dass die beiden Regierungsparteien in der Lage sind, mit der digitalen Zivilgesellschaft sich auszutauschen, mag ich zum jetzigen Zeitpunkt noch sehr bezweifeln. Hoffentlich ist es aber nur eine Frage der Zeit und nicht ein strukturelles Versagen der Netzpolitik in den Volksparteien.