Digitale Abgeordnete – die Mitmach-Demokratie künftiger Generationen

Das Ziel des Projekts junge Deutsche (dessen Gründer ich bin) ist es, Deutschland aus der Sicht junger Menschen zu betrachten und etablierte, oft veraltete, Strukturen und Sichtweisen aus dieser Perspektive zu hinterfragen. Nachfolgend stelle ich Ihnen einige Ergebnisse der aktuellen Studie junge Deutsche 2011 vor und beschreibe, wie die parlamentarische Demokratie den Übergang in das digitale Zeitalter wagen könnte.

Erwachsenwerden in Deutschland

Wer kennt ihn nicht, den Spruch aus dem Munde der Eltern oder Großeltern, „als ich so alt war wie du, da war ich schon … und hatte …“. Ob sie diese Pünktchen nun mit Kindern, finanzieller Unabhängigkeit oder etwas anderem ersetzen, überlasse ich Ihnen. Sicher ist jedenfalls, dass die heute 18-34-Jährigen im Durchschnitt später Verantwortung übernehmen und „erwachsen“ werden – so sind von den 22-25-Jährigen erst 50% finanziell unabhängig und von den 30-34-Jährigen haben erst 20% Kinder. Was ist es, das so anders ist als früher? Sie streben nach Selbstverwirklichung im Beruf, wollen kreativ sein und ein gutes Leben führen … während die Welt, von Wettbewerb und Digitalisierung beschleunigt, sich immer schneller dreht, prekärere Arbeitsbedingungen bietet und es schwerer fällt einmal abzuschalten.

Digitalisierung total

Einen ganz guten Einblick in die Welt junger Menschen bietet einen Blick darauf, welche Umstände und Erlebnisse die heute 18-34-Jährigen besonders prägen. Mit Abstand am prägendsten wird für alle untersuchten Altersgruppen „Digitalisierung“ bewertet (55-59%), weil sie sämtliche Lebensbereiche durchdringt und bestimmt. An zweiter Stelle kommt für die jüngeren „Zerfall der Familie“ (38%), was mit zunehmendem Alter jedoch abnimmt. Die Bedeutung von „Globalisierung“ dagegen steigt mit zunehmendem Alter und erreicht für die 26-34-Jährigen über 50%.

Wer schreibt heute noch auf einer alten Schreibmaschine? Einige Nostalgiker oder Technikverweigerer á la „das muss ich auf meine alten Tage nicht mehr lernen“. Es ist nicht lange her, dass die Schreibmaschine der Standard war und eine Veränderung unvorstellbar wirkte. Die Vorteile elektronisch geschriebener Dokumente überwiegen: man kann sie online gemeinsam verfassen oder automatisch übersetzen lassen und, man muss keine Schreibmaschine herumtragen. Warum also sollte man also nicht die Frage laut stellen dürfen, wie die Möglichkeiten des Internets und der sozialen Netzwerke auch die Funktionsweise der parlamentarischen Demokratie positiv weiterentwickeln können.

Netz und Politik. Wo stehen die jungen Leute?

86% sehen ihre Interessen durch die Politik nicht vertreten und 73% haben kein Vertrauen in die Arbeit der Regierung. Obwohl 60% Angst vor Missbrauch mit ihren Daten im Netz haben, befürworten 67% neue Möglichkeiten der politischen Partizipation durch das Internet.

Die jungen Leute informieren sich über Politik – 37% glauben mit ihrem Engagement etwas bewegen zu können – 41% sagen sie engagieren sich. Dieses Engagement findet immer seltener in den traditionellen politischen Organisationen, in den Parteien statt. Gründe dafür gibt es viele: mangelnde Zeit, unattraktive hierarchische Strukturen, Vermutung oder Wissen dort nichts bewegen zu können, veränderte Feindbilder … und die zögerliche Bereitschaft der Parteien sich mit den Veränderungen zu entwickeln.

Digitale Abgeordnete: das Volk stimmt mit ab

Was mich auf meiner gesamten Projekt-Tour beschäftigte war: Wie kann man junge Menschen wieder stärker an Politik beteiligen?

Die Antworten finden sich darin, wie junge Menschen heute ticken: Sie haben wenig Zeit. Sie wollen etwas Bewegen, wenn sie sich einsetzen. Das Internet ist ihr alles – die Zeitung, das Telefon, der Jugendtreff, der Einkaufsladen und so weiter. Sie interessieren sich für Themen. Sie wollen ernst genommen werden und ungern warten.

Das Konzept der digitalen Abgeordneten ist der Versuch, wirksame politische Beteiligung in den Lebenswelten einer digital geprägten Gesellschaft zu integrieren.

„Digitale Abgeordnete sind Vertreter des Volkes z.B. im Bundestag (DMdB), Landtag etc., deren Abstimmungsverhalten direkt über das Internet durch interessierte Bürger gesteuert wird. Damit soll die aktuelle Meinung des Volkes in Parlamenten direkt vertreten sein, wenn auch nur mit dem symbolischen Wert von einem Prozent der Stimmen. Dadurch würde bei Bürgerinnen und Bürgern ein besserer Informationsstand über und mehr Identifikation mit Entscheidungen erreicht werden. Die Funktionsweise von digitalen Abgeordneten soll auf einer speziellen Internetplattform in fünf Phasen erfolgen:
Informieren > Diskussion / Argumente > Abstimmungsphase online > Ergebnis der Abstimmung z.B. in den Bundestag > Rückmeldung der Entscheidung an interessierte Teilnehmer“

Eine ausführliche Beschreibung der Funktionsweise des digitalen Abgeordneten findet sich auf: www.jungedeutsche.de

Eine interessante Diskussion des Konzepts findet sich in dem Dialog über Deutschland der Bundeskanzlerin, auf: www.dialog-ueber-deutschland.de

Die Gesellschaft entwickelt sich weiter ohne um Erlaubnis zu fragen. Die Demokratie sollte sich ebenfalls weiterentwickeln, um nicht vom Volk abgehängt zu werden. Ein/e digitale/-r Abgeordnete/-r ist vielleicht nicht DIE Lösung. Aber es ist eine Möglichkeit. Das Internet ist so jung, dass jegliches Beteiligungsformat ein Experiment ist. Nur durch Versuche unter Echt-Bedingungen lassen sich Erfahrungen sammeln, Risiken besser einschätzen und technologische Lösungen verbessern.

Diskutieren Sie mit, wie die Zukunft der Demokratie aussehen soll.

Das Projekt junge Deutsche wird übrigens auch dieses Jahr wieder eine Studie durchführen. Themen im Fokus 2012 werden Partizipation und Europa. Aktuelle Informationen finden Sie stets unter www.jungedeutsche.de

Simon Schnetzer ist Diplom-Volkswirt und Gründer des partizipativen Aktionsforschungsprojekts junge Deutsche . Er ist Herausgeber der Studie „junge Deutsche“ und führt mit seiner Firma DATAJOCKEY: social research & dialogue Auftragsforschungs- und Dialogprojekte durch. Dieser Artikel wurde im Rahmen des Projekts „Youthpart“, einem multilateralen Kooperationsprojekt der Fachstelle für Internationale Jugenarbeit der Bundesrepublik Deutschland, kurz IJAB, zuerst hier veröffentlicht.