#Crowdfunding im Koalitionsvertrag – Was die #GroKo beschließen hätte können…

Koalitionsvertragstitelvisions-finalIn diesen Artikel „Crowdfunding im Koalitionsvertrag: was heißt das für die Crowdfunding-Branche in Deutschland?“ erläutert, was die Große Koalition für die nächsten vier Jahre geplant hat. Der Schwerpunkt liegt erwartungsgemäß auf dem Thema Crowdinvesting, die anderen vier Arten des Crowdfundings werden nur versteckt erwähnt.

Wenn die Regierung nicht nur kleine Schritte, sondern auch große Schritte gehen möchte, dann sollte sie doch etwas über den eingeschränkten Raum des Verhandlungstisches hinausschauen. Hier ein paar Vorschläge dazu, die sich zum Teil aus den Überlegungen unserer Future of Crowdfunding Konferenz ergeben:

1. Crowdfunding ist mehr als eine Brücke über eine Finanzierungslücke – sondern eine disruptive Emanzipationsbewegung für Produzent und Käufer!

Crowdfunding wird oft vor allem unter dem Finanzierungsaspekt gesehen, ist aber viel mehr als das: sie stellt einen direkten Draht zwischen Verkäufer und Käufer her. Die Verkäufer – Künstler, Unternehmer, Visionäre – können sich mit der Bitte um Feedback, Analyse und Wissen direkt an ihr Publikum, ihre Unterstützer und ihre Kunden wenden.

Dadurch werden viele Intermediäre scheinbar überflüssig, wenn sie nicht merken, dass das Wissen um das Herstellen von Verbindungen keine Frage von Monopolen, Verwertungsrechten oder Einkaufslogistik ist, sondern Teil eines guten, nachhaltigen Geschäftsmodells. Musik- und Buchverlage, Banken, Museen und Galerien, PR-Agenturen und Venture Capital Fonds können das Wissen um Crowdfunding nutzen, um sich innovative neue Produkte und Dienstleistungen auszudenken. Und wenn sie es nicht machen, dann machen es die Produzenten selber.

Crowdfunding ist also vor allem ein Innovationstreiber! Wer das anerkennt, muss dafür sorgen, dass Crowdfunding bei offiziellen Förderanträgen, sei es bei der Wirtschafts-, bei der Forschungs- oder bei der Kulturförderung als Eigenmittel anerkannt wird, auch wenn es rechtlich das nicht immer ist.

2. Den Jobmotor Crowdfunding auf Touren bringen!

Crowdfunding sorgt für Arbeitsplätze. Firmen können ihre Produkte lancieren, Künstler und Kreative können sich am Markt behaupten. Crowdfunding mobilisiert ruhendes Potenzial und steckt es in innovative Ideen – genau das braucht Deutschland eigentlich. Und Europa auch!

Crowdfunding sorgt schon jetzt für Arbeitsplätze, nicht nur bei den Plattformen, sondern auch bei Beratern, Wissenschaftlern, in der Verwaltung und in der Politik. Aber genau wie eCommerce am Anfang unterschätzt wurde, so wird es in 10 Jahren nicht mehr den Exotenstatus Crowdfunding geben, sondern es wird teil eines normalen Marketing- und Finanzierungsmix.

Damit dies aber geschieht, muss der Staat dafür sorgen, dass es ein aktives Ökosystem Crowdfunding gibt. Er darf nicht verzerrend eingreifen, indem er wie in Hamburg geschehen mit einer eigenen Plattform den anderen Crowdfunding-Plattformen Konkurrenz macht, sondern er muss so viel wie möglich ergänzende Hilfe leisten. Die Branche kann sich selber entwickeln, aber nur wenn der Staat Crowdfunding nicht als Gefahr sieht!

3. Crowdfunding ist ein europäisches Vernetzungsprojekt!

Was passiert, wenn ein Musikalbum in Finnland durch einen Fan in Spanien finanziert wird? Wenn ein Investor aus Irland in ein Startup in Polen investiert? Wenn eine Spende aus Bulgarien in eine NGO in Frankreich fließt? Wenn ein Peer-to-Peer-Kredit aus Österreich an einen Kreditnehmer in Litauen gegeben wird?

Aus Sicht der Europäischen Union sind das alles transnationale Zahlungsflüsse, aber es ist viel mehr als das: die europäischen Bürger kommen zusammen und helfen, Ideen und Visionen zu realisieren. Die Personen lernen sich auf einer langfristigen und nachhaltigeren Ebene kennen, als wenn sie nur Touristen und Gäste im anderen Land sind.

Das European Crowdfunding Network hat schon viel getan, hat aber diesen Gedanken, dass Crowdfunding etwas zu einer europäischen Identität beitragen kann, noch nicht genügend stark gemacht. Aber das wird sich ändern. Wenn wir in Deutschland diesen Gedanken stärken wollen, dann muss die Bundesregierung Crowdfunding als Teil des europäischen Kulturraums und Wirtschaftsraums sehen. Dazu gehört, transnationales Crowdfunding so weit wie möglich zu erleichtern, Investitionsregeln zu harmonisieren und anzupassen.

4. Crowdfunding als Zeichen gelebter internationaler Zusammenarbeit!

Vor einigen Wochen haben wir einen sehr spannenden Workshop mit der GIZ durchgeführt, in dem es darum ging, wie man Crowdinvesting und Crowdfundig nutzen kann, um die Zusammenarbeit zwischen den Ländern des globalen Nordens und des globalen Südens zu verbessern. Dabei sind viele Ideen gekommen: vom Aufbau von Investorennetzwerken hin zu größerer Flexiblität und Legitimation bei Spendenprojekten.

Jochen Bader von morethanshelters hat in einem Blogbeitrag beschrieben, dass Crowdfunding vor allem dazu beitragen, Vertrauensnetzwerke zu bilden:

Der Aufbau von (grenzüberschreitenden) Vertrauensnetzwerken könnte als Hebel zur Stärkung der Nachhaltigkeit von Projekten fungieren. Durch Aufbau und die Aktivierung und Einbeziehung einer Community z.B. aus Betroffenen, Akteuren vor Ort und der Geber_innen kann ggf. die mittel- und langfristige Wirksamkeit von Projekten und Investitionen gesteigert werden.

Aus Sicht der Bundesregierung heißt es also, dass für die internationale Zusammenarbeit Crowdfunding ein ebenso wichtiges Instrument werden kann wie Projekte vor Ort, Investitionen oder Hermes-Bürgschaften. 

 5.  Kulturförderung neu legitimieren!

screenshot-pantheon290-95% der öffentlichen Kulturförderung fließt in institutionelle Förderung der Kulturbetriebe – in Museen und Opernhäuser, in Orchester und Galerien. Das lässt für die freie Szene sehr wenig übrig, sie lässt auch sehr wenig Spielräum, dass die Städte und Gemeinden selber Schwerpunkte setzen. Natürlich sorgt eine Kulturförderung auch dafür, dass es immer noch einen großen Sektor in der Kulturwirtschaft gibt, in dem die Arbeitsbedingungen nicht so prekär sind wie in anderen Branchen.

Es wird aber unausweichlich bleiben, dass die Kulturförderung sich neu legitimieren muss. Aus Sicht der Bundesregierung wäre es spannend, die Crowd zum Beispiel bei der Entscheidungsfindung der Kulturförderung einzubeziehen, so wie das beispielsweise bei der Schwedischen Plattform Crowdculture.se schon geschieht. Denkbar sind Modelle, wo die Crowd mit ihrer Stimme einen Teil des öffentlichen Etats verteilt. Denkbar ist auch, dass öffentliche Kulturförderung an Kofinanzierung durch die Crowd geknüpft ist.

6. Öffentlich-rechtliche Medien demokratisieren!

Es ist keine Frage, die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosender sind angesichts ihres  gebührenfinanzierten Etats wenig innovativ. Aber das Publikum möchte immer stärker Mitsprache bei der Programmgestaltung haben. Stattdessen aber regieren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk die alten Netzwerke von Produzenten und Intendanten, innovative Ideen laufen abseits der Hauptprogramme und die Gebührenzahler rebellieren.

Aus Sicht der Bundesregierung sollte es ein Ziel sein, sobald wie möglich die 8+ Milliarden GEZ-Gebühren mit Crowdfunding zu demokratisieren. Eine Möglichkeit würde zum Beispiel darin bestehen, dass die Gebührenzahler einen Teil ihrer Gebühren an Formate ihrer Wahl ausschütten können. Oder dass sich Produzenten transparent und im Netz um Gebührengelder bewerben können.

7. Die Bottom-Up-City planen und bauen!

RotterdamLuchtsingelStuttgart 21, BER-Flughafen, Elbphilharmonie – die Grenzen traditioneller Stadtplanung im Kontext des digitalen Urbanen sind unübersehbar. Mit Civic Crowdfunding und Civic Crowdlending ist es möglich, den urbanen Raum von den Bürgern planen und finanzieren zu lassen.

Schon jetzt gibt es Plattformen für Immobilienprojekte, für Bürgerkredite, für die Wiederbelebung städtischen Raums. Wenn die Bundesregierung schlau ist, dann macht sie die Auszahlung von Gewerbesteuern an die Kommunen abhängig von dem Einsatz moderner Methoden der Bürgerpartizipation, und dazu gehört Crowdfunding.

8. Nicht das nächste Google, sondern das nächste SAP finanzieren!

Jeder Politiker will über Crowdinvesting und Plattformen wie Innovestment, Fundster oder Companisto das nächste Google erschaffen. Aber dabei ist Google gar nicht so spannend wie SAP, die auf Milliarden von Rechnern weltweit läuft und einen riesiges Ökosystem an Unternehmen mit Aufträgen versorgt. Crowdinvesting kann der Schritt sein, um den innovativen Unternehmen die Möglichkeit zum Wachsen zu geben – nicht nur Start-Ups, sondern auch Mittelstandsunternehmen und in naher Zukunft auch großen Unternehmen.

Die Bundesregierung kann helfen, indem sie die verschiedenen Beteiligungsformen radikal vereinfacht und den Plattformen klare Vorgaben macht, welche Verantwortung sie gegenüber dem Investoren haben. Sie kann helfen, das Aktiengesetz zu entrümpeln und die Crowd-Aktie einzuführen.

9. Die Energiewende schneller und preiswerter machen!

Über Crowdfunding-Plattformen im Bereich der Erneuerbaren Energie wie Bettervest oder Greenvesting können schon jetzt Projekte finanziert werden, die für eine energieeffizientere Wirtschaft sorgen werden. Aber die Projekte sind natürlich noch viel zu klein und die Plattform noch zu sehr in der Nische.

Aber der Trend zu den Bürgerstadtwerken zeigt, dass die Menschen in Deutschland etwas aktiv gegen den Klimawandel und den Verbrauch der endlichen Ressourcen tun wollen. Und sie wollen es auch finanzieren.

Die Bundesregierung sollte langfristig planen, ein ressourcensparende und nachhaltige Wirtschaftsform und die notwendigen Investitionen in eine solche Infrastruktur über die Crowdfunding- und Crowdlending-Plattformen zu ermöglichen, unterstütztend durch Steuervorteile und Kofinanzierungsfonds.

10. Banken sicherer machen!

Während überall die Banken ihre Kredite zurückziehen, weil Basel-3 ihnen stärkere Eigenkapitalquoten auferlegt, so könnte Crowdfunding gerade dazu helfen, dass die Bankenkredite verlässlicher zurückgezahlt werden, wenn man die Kredite an Crowdinvesting koppelt. Wenn ein Bankkredit erst dann ausgezahlt wird, ein Unternehmen Crowdfunding erfolgreich schafft, würde dies dazu führen, dass die Crowd weiß, dass auch andere Finanzierer an das Unternehmen glauben. Aber die Crowd könnte auch helfen, Kreditnehmer zu beurteilen und ihre Kreditfähigkeit auf mehr Dimensionen als Bürgschaften und Schufa-Score einzuschätzen.

Um den Banken langfristig zu stabilisieren, muss man Crowdinvesting, Crowdlending und das klassische Einlagengeschäft von Banken kombinieren, am besten in einer neuen Form des Crowd-Genossenschafts-Banking.

11. Crowdfunding – landauf, landab!

screenshot agfunderCrowdfunding ist vor allem ein städtisches Phänomen – zur Zeit! Aber schon jetzt zeigt das Thema Food-Crowdfunding, welche Möglichkeiten es gibt, den städtischen und den ländlichen Raum zu vernetzen. Themen wie Crowdfunding for Urban Gardening zeigen, dass die Konsumenten wissen wollen, wo ihre Nahrungsmittel herkommen.

Als Mittel um lokale Kreisläufe für Nahrungsmittel herzustellen, ist Crowdfunding sehr sinnvoll. Aber auch andere Wirtschaftskreisläufe könnte man stark lokalisieren. Wie sieht es aus mit einem Crowdfunding für Mobilitätsangebote im ländlichen Raum? Oder Crowdfunding für Tourismusinvestitionen?

Die Bundesregierung muss sich klar sein, dass Crowdfunding kein Nischenthema bleiben wird. Im jetzigen Koalitionsvertrag ist das leider der Fall. Der nächste Koalitionsvertrag aber kommt schneller als man denkt. Wir sind gespannt.